Schut 1_2

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Inhalt:

Kara Ben Nemsi und seine treuen Gefährten müssen gegen einen übermächtigen Gegner antreten, von dem sie glaubten, er wäre schon längst tot. Doch der Schut lebt. Seine Schergen entführen Hadschi Halef Omars Sohn. Der Diener von Kara Ben Nemsi nimmt zusammen mit seinem Herrn die Verfolgung auf. Es geht durch die Wüste von Marokko bis nach Libyen. Während der Jagd müssen die Freunde zahlreiche Gefahren meistern. Erst als sie dem Schut gegenüberstehen, begreifen sie, dass der Todfeind ihnen eine Falle gestellt hat, aus der es kein Entrinnen gibt.

LESEPROBE:

Halefs Herz schlug bis zum Hals. Doch er musste ganz sicher sein. Er ließ den Alten wieder los und fragte: „Wie war er bekleidet?“

Der Schlangenbändiger deutete auf ihn. „Ähnlich wie ihr! Der Turban schien ihm viel zu groß … Verzeiht mir meine unbedachten Worte, Sihdi.“

Nun hatte der Hadschi die endgültige Gewissheit, dass es sich um seinen Sohn handelte, der aus seiner unmittelbaren Nähe entführt worden war!

„Wie sahen die Männer aus?“

Ya salam, ya laṭīf – o Himmel, o Gütiger, es waren Schejatin[1], Sihdi!“ Kurz nur hielt der Greis inne, dann beschrieb er zwei bärtige Kerle mit weiten Hosen, bestickten Jacken und turbanartigen Schesch, wie sie die Berglandbewohner trugen.

„Wohin brachten sie meinen Sohn?“

„Sie gingen mit ihm zur Kasbah hinaus. Mehr konnten meine müden, alten Augen nicht sehen.“

„Bist du dir ganz sicher?“

Na’am, sihdi – ja, Herr!“ Der Schlangenbändiger machte eine kurze Pause, dann streckte er dem Hadschi die knorrigen, schmutzigen Finger seiner rechten Hand entgegen, die einen zusammengefalteten Zettel hielten. „Das soll ich euch geben!“

Halefs Gedanken überschlugen sich. „Woher weißt du, dass das für mich ist, Unglückseliger?“, fragte er mit scharfer Stimme, während er das Papier entgegennahm.

„Die Männer haben mir euch beschrieben, Sihdi. Sie wussten, dass ihr an dieser Stelle wieder zur Kasbah hinausgehen werdet, denn einen anderen Weg gibt es nicht. Ich musste also nur auf euch warten …“

„Steckst du mit diesen verfluchten Hunden etwa unter einer Decke?“

Maschallah![2]„, rief der Schlangenbändiger erschrocken aus, duckte sich unwillkürlich, als erwarte er Schläge. „Asch ka t-abber-ek, sihdi – was denkt ihr von mir, Herr?“

Der Hadschi faltete den Zettel auseinander, überflog die Worte, die darauf gekritzelt waren, und sagte dann: „Wenn ich herausfinden sollte, dass du zu diesen dreimal Verdammten gehörst, werde ich zurückkommen und dich eigenhändig in die Dschehenna[3] schicken, so dass du ewiglich in en Nar[4] brennen wirst!“

„Ich bin nur der harmlose Überbringer dieser Botschaft, Sihdi.“

Halef atmete tief durch, wollte sich von dem Schlangenbändiger abwenden, als dieser ihn erneut festhielt.

Ya Allah, Sihdi, sind euch meine Auskünfte gar nichts wert?“

Der anfängliche Zorn des Hadschis auf den ärmlichen Alten war verraucht. Er glaubte, dass der ihm die Wahrheit gesagt hatte. So gab er ihm einen Dirham und strebte eiligen Schrittes dem Steintor zu, die Kasbah hinaus.

Ma´a as-salāma – mit dir sei Friede!“, rief der Schlangenbändiger ihm nach. Aber Halef hörte es nicht mehr, denn nur noch die Gedanken an seinen entführten Sohn beherrschten ihn.

In Kürze sollte Kara Ben Nemsi im Hafen eintreffen. Er würde ihn bitten, ihm bei der Suche nach seinem Jungen zu helfen. Das Wiedersehen mit seinem deutschen Weggefährten hatte er sich wahrlich anderes vorgestellt.

 

  1. Die Spur ins „Land Gottes“

 

Wieder einmal war ich mit einem Schiff der Reederei Messageries Maritimes von Frankreich aus, genauer gesagt von Marseille, an die Küste Nordafrikas gefahren. Und erneut war es die Avignon, die mit ihren über sechstausend Bruttoregistertonnen ruhig jede Welle nahm, so dass ich mich verhältnismäßig sicher fühlte.[5] Dieses Mal jedoch steuerte sie nicht den Hafen von Algier an, sondern Agadir an der Südküste Marokkos.

Hier wollte ich mich nach einer beschaulichen Zeit in meiner Heimat mit meinem treuen Freund Hadschi Halef Omar treffen. Den Zeitpunkt meiner Ankunft hatte ich ihm schon vor vielen Wochen per Brief mitgeteilt. So ergriff mein orientalischer Weggefährte die Gelegenheit beim Schopfe, um nicht nur einen fernen Verwandten in Agadir zu besuchen, sondern seinem Sohn auch den Atlantik zu zeigen. Das jedenfalls schrieb er mir zurück.

Die Vorfreude auf die beiden war groß. Zudem plante ich von hier aus eine erneute Reise durch das Morgenland, um meine weiteren Erzählungen mit neuen Eindrücken zu bereichern.

Ich selbst hatte im Maghreb oder al-maghrib, wie ihn die Araber nannten, schon viele Abenteuer bestanden[6]. Für mich war der Maghreb-el-aksa, der äußerste Westen, der aus Marokko, Algerien und Tunesien bestand, eine Region voller Gegensätze, die doch harmonisch miteinander vereint war. Seit jedoch die Franzosen 1830 Algerien eroberten und in den Jahren 1843 und 1844 Krieg gegen die marokkanischen Truppen führten, die sie schließlich besiegten, war das Gebiet zu einem Zankapfel europäischer Kolonialmächte geworden. Das Deutsche Reich bildete hierbei gewiss keine Ausnahme. Ebensowenig das Königreich Spanien.

Ein altes arabisches Sprichwort besagte: „Der Maghreb ist ein heiliger Vogel. Sein Leib ist Algerien, sein rechter Flügel Tunesien, sein linker Marokko.“

Als ich das Passagierschiff im Hafen von Agadir verließ, atmete ich die nordafrikanische Luft tief ein, die mir so gut bekam. Sie war durchsetzt vom Salz des Ozeans, von den vielfältigen Gewürzen der Händler und dem allgegenwärtigen Geruch von frischgefangenem Fisch. Ganz anders, als die unbeständigen und trockenen Brisen im kühlen Deutschland.

Mit meinem scharfen Blick durchforstete ich jede Stelle des Kais, die mir einsichtig war, konnte Halef jedoch nirgends entdecken. Die Schwierigkeit dabei war, dass der Hadschi, klein von Statur, vom dichten Gedränge nahezu verschluckt wurde, das die ausgestiegenen Passagiere, Matrosen und Soldaten der Kolonialinfanterie bildeten. Hinzu kamen die zahlreichen Bettler und Dirnen, die bereits auf die Neuankömmlinge warteten.

So packte ich schließlich meinen Reisesack und die Segeltuchtasche, in der ich meine Waffen verstaut hatte, und schritt den Steg an der Kaimauer entlang.

Dann endlich sah ich meinen treuen Freund, der einmal mein Diener gewesen war. Er stand abseits der anderen Wartenden, um sich wohl so einen besseren Überblick zu verschaffen. Nun erkannte auch er mich, kam unverzüglich mit seinem watschelnden Gang auf mich zu. Wie eh und je wunderte ich mich, dass er nicht über seinen überlangen Burnus stolperte.

Als er vor mir stehen blieb, sah ich sofort, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. So elend hatte ich ihn in all der Zeit, in der wir uns kannten, noch nicht gesehen. Obwohl sich sein Mund vor Wiedersehensfreude zu einem schnellen Lächeln verzog, war der Blick in seinen Augen seltsam leer. Seine Barthärchen zuckten, seine Gesichtszüge waren verzerrt, als leide er seelische Qualen. Es musste irgendetwas Furchtbares geschehen sein!

Wir wechselten ein paar Begrüßungsfloskeln, dann strebten wir dem kleinen Hotel in der Nähe des Hafens zu, in das ich mich für ein paar Tage eingemietet hatte. Halef ging schweigend und eiligen Schrittes neben mir, so als stünde er unter großem Zeitdruck. Erst als ich das Gepäck auf mein Zimmer brachte, erzählte er mir, was er auf dem Herzen hatte. Als ich hörte, dass vor etwa zwei Stunden sein Sprössling in der Kasbah entführt worden war, verspürte ich einen Knoten in meinem Magen. Wie mochte es da erst meinem Freund ergehen?

Schließlich gab er mir den Zettel, den der Schlangenbändiger ihm ausgehändigt hatte. In krakeliger Schrift stand dort auf Arabisch: „Folge dem Sand ins Land Gottes und du wirst eine Spur zu deinem Sohn finden.“ Darunter waren diese Schriftzeichen abgebildet: ⵎⴻⵕⵕⴰⴽⴻⵛ.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte ich.

„Das Rätsel ist schnell gelöst, Sihdi“, antwortete Halef mit rauer Stimme. „Mit dem Land Gottes und den Zeichen ist ein und dasselbe gemeint!“

„Und was ist das?“

„Die Perle des Südens!“

Fragend sah ich den Hadschi an, der für einen Moment seine Besorgnis vergaß, um mir den Sachverhalt zu erklären.

„Du beherrschst zwar einige Sprachen, Sihdi, aber gegenüber meinen Kenntnissen ist das geradeso, als würde sich eine Regenpfütze mit einem Ozean vergleichen wollen!“

Tatsächlich war der Hadschi aller Dialekte mächtig, die zwischen dem großen Dschebel Schur-Schum in der westlichen Sahara, dem Wohnsitz der Ulead Selim und der Ulead Bu Seba, von denen sein Großvater Dawuhd Al Gossarah abstammte, und der Nilmündung vorkamen.

„Die Schriftzeichen sind auf Tamazight, einem Berberdialekt, der im gesamten Maghreb sogar bis nach Libyen und Ägypten gesprochen wird“, fuhr er belehrend fort. „Dieser unterscheidet sich jedoch von den beiden anderen in Marokko weitverbreiteten Dialekten, dem Taschelhit, der im Süden des Landes gesprochen wird und dem Tarifit, der im Norden und dort vor allem im Rifgebirge zu Hause ist. Allerdings gibt es einen großen Unterschied zum Tamaschek der Tuareg.“

„Heißt das, dass die Entführer berberische Berglandbewohner sind? Aufgrund der Beschreibung ihrer Kleidung durch den Schlangenbändiger sowie des Tamazight-Dialekts in der Botschaft liegt das nahe.“

„Nicht unbedingt, Sihdi. Wie gesagt, wird der Berberdialekt überall im Maghreb und darüber hinaus gesprochen.“

„Und das Land Gottes und die Perle des Südens bedeuten demnach ein und dasselbe?“

Mein Freund nickte so heftig, dass ich die Befürchtung hatte, sein übergroßer Turban würde von seinem schmalen Haupt fallen.

„Gemeint ist damit die Stadt Murrākuš, die weitläufig Marrakesch genannt wird. Oder auch mar-our-kouch, das Durchzugsland.“

Terre de parcours„, sinnierte ich auf Französisch, was das gleiche bedeutete.

„Wer könnte Interesse daran haben, deinen Sohn dorthin zu verschleppen?“

„Ich weiß es nicht, Sihdi! Aber wenn ich ohne Kara Ben Halef zu Hanneh zurückkehre, wird ihr das Herz für immer brechen! Sie war es, die zusagte, dass ich unseren Sohn mit nach Agadir nehme, um ihm die Weite des Atòlasî zu zeigen.“

Hanneh war Halefs junge Ehefrau, eine Ateïbeh-Beduinin, Angehörige des Stammes der Haddedihn. Die beiden hatten sich auf höchst eigenartige Weise kennengelernt: Hanneh sollte eine Haddsch[7] nach Mekka absolvieren. Da dies jedoch nur verheirateten Frauen erlaubt war, schlug ihr Großvater Scheik Malek vor, eine Scheinehe mit Halef einzugehen. Mein Freund versprach, die Ehe nach der Pilgerreise wieder aufzuheben. Doch es kam anders: die beiden so unterschiedlichen Menschen verliebten sich ineinander und Halef erreichte mit der Aufnahme in den Stamm der Ateïbeh, der sich später den Haddedihn anschloss, dass Hanneh seine Gattin bleiben durfte. Nach den kurzen Flitterwochen und während mein Weggefährte mich bei meinen gefahrvollen Abenteuern durch Kurdistan begleitete, bekam die junge Beduinin ihren Sohn.[8] Er wurde nach mir benannt: Kara Ben Halef. Eine große Ehre für mich und auch deshalb fühlte ich mich verpflichtet, seinem Vater unter allen Umständen zu helfen.

„Lass uns unverzüglich aufbrechen!“, sagte ich.

„Du hilfst mir bei der Suche, Sihdi?“

Ich sah Halef erstaunt an. „Natürlich! Hast du etwas anderes erwartet? Du bist mein Freund, der immer treu an meiner Seite gestanden hat! Nun ist es an der Zeit, mich dafür zu revanchieren!“

„Das hast du schon oft getan, Sihdi. Aber dennoch danke ich dir von ganzem Herzen. Allah wird weiter über dich wachen!“

Kurz sah es so aus, als würde der Kleine mich umarmen wollen. Dann wandte er sich schnell von mir ab, wischte sich mit dem rechten Zeigefinger über seine wässrigen Augen. Er schaute kurz zu Boden, als schäme er sich für seinen Gefühlsausbruch.

Ich schlug ihm auf die Schulter, um ihm Mut zu machen, ohne dabei auch nur im Geringsten zu ahnen, was auf uns zukommen würde.

 

  1. Wiedersehen mit Lord Lindsay

 

Atlas-Gebirge/Marrakesch, Marokko

 

Der Atlas, der Ǧibāl al-Aṭlas, ist ein Hochgebirge im Nordwesten Afrikas, das sich fast zweieinhalbtausend Kilometer über den Maghreb erstreckt. Es bildet eine Scheidelinie zwischen dem feuchten Klima des äußersten Nordens Westafrikas und der extrem heißen und trockenen Sahara.

Die antiken griechischen Dichter, Denker und Historiker Homer und Herodot sahen im Atlas die westliche Grenzlinie der damals bekannten Welt.

Der al-Aṭlas al-kabīr, der Hohe Atlas im Süden Marokkos, ist die höchste Gebirgskette, die sich von der Atlantikküste im Westen bis an die marokkanisch-algerische Grenze erhebt. Im Osten schließt sich der Tellatlas und der Saharaatlas an, die größtenteils zu Algerien gehören. Der steilste Gipfel ist der Jbel Toubkal, der über viertausend Meter über dem Meeresspiegel liegt.

Nach einem Dreitages-Ritt von Agadir aus stieg das Land immer weiter an. Der natürliche Saumpfad wechselte in eine kurvenreiche Kamelpiste über, die direkt ins Hochgebirge führte. Auf den höchsten Gipfeln schimmerte das Weiß des Schnees.

Zum Schutz vor Sonne, Wind und Sand hatten Halef und ich uns Schesch, lange Musselintücher, um Kopf, Hals und Mund gebunden. Neben unseren beiden Hudschûn[9] hatten wir noch ein weiteres Wüstenschiff im Schlepptau, beladen mit unserem Gepäck, den Vorräten und den Waffen. Darunter mein fünfundzwanzigschüssiger Henrystutzen und der „Bärentöter“, die Elefanten-Doppelbüchse. Meinen Adams-Trommelrevolver und das schwere Bowiemesser trug ich am Gürtel…

Fußnoten:

[1]     Teufel

[2]     „Was Gott will“ (gebräuchlicher Ausruf der Verwunderung)

[3]     Hölle

[4]     Ewiges Feuer

[5]     Siehe: Jörg Kastner: Hadschi Halef Omar Die Vorgeschichte zu Karl Mays Reiseerzählung DURCH DIE WÜSTE (Karl-May-Verlag, Bamberg 2010)

[6]     Siehe vor allem die sogenannten „Orientbände“ (erschienen im Karl-May-Verlag)

[7]     Islamische Pilgerfahrt nach Mekka

[8]     Siehe: Karl Mays Reiseerzählungen DURCH DIE WÜSTE (Band 1), DURCHS WILDE KURDISTAN (Band 2), VON BAGDAD NACH STAMBUL (Band 3) (alle: Karl-May-Verlag, Bamberg)

[9]     Reitkamele

Kara Ben Nemsi


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