Wie bereits gestern in „Wulff-Jagd (1)“  berichtet hat sich Bundespräsident Christian Wulff am 31. März 2011 bei einer Rede beim XIX. Deutschen Bankentag des Bundesverbandes deutscher Banken in Berlin ungewöhnlich scharf gegen das Bankensystem, die Finanzprofiteure und die Politik gewandt.

Diesen Kurs setzte er in einem Interview in „Der Zeit“ am 30. Juni 2011 fort. Auch hier findet er ungewöhnlich klare und harte Worte gegen das politische Establishment und die Bankster. Kein Wunder also, dass er in der Folge zum „Abschuss“ freigegeben wurde.

Auszüge aus dem „Zeit“-Interview:

Bundespräsident Wulff „Etwas ist aus den Fugen geraten“

Bundespräsident Christian Wulff beklagt die Entmachtung der Parlamente, fordert einen Beitrag der Banken in der Griechenland-Krise und kritisiert Berlins Alleingang in der Libyen-Frage.

(…)

Wulff: (…) Während der Parteispendenaffäre habe ich mich gefragt, ob ich im richtigen Metier, in der richtigen Partei bin, als damals immer mehr Verstrickungen und Rechtswidrigkeiten bekannt wurden. Wenn das beschönigt, als nicht so schwerwiegend oder »kann doch mal vorkommen« verharmlost worden wäre, dann hätte ich nicht weitergemacht. Wo kommen wir hin, wenn die Politik die eigenen Gesetze ignoriert?

(…) Ich habe dort etwas gesagt, was ich heute noch stärker empfinde: dass Parlamente stärker an Entscheidungen teilhaben müssen. Dass heute zu viel in kleinen »Entscheider«-Runden vorgegeben wird, was dann von den Parlamenten abgesegnet werden soll. Darin sehe ich eine Aushöhlung des Parlamentarismus. Damit schwindet die Grundlage für Vertrauen, fehlt die Transparenz und Teilhabe für Bürger und Parlamentarier. Ich erlebe, dass Politikerverdrossenheit heute eine Ausweitung erfährt: nicht mehr nur von Bürgern gegenüber Politikern. Inzwischen sind Politikerinnen und Politiker häufig verdrossen, verdrossen über ihre eigene Tätigkeit und ihre Rolle, die ihnen noch zukommt, verdrossen über ihren schwindenden Einfluss.

(…) Sowohl beim Euro als auch bei Fragen der Energiewende wird das Parlament nicht als Herz der Demokratie gestärkt und empfunden. Dort finden die großen Debatten nicht mit ergebnisoffenem Ausgang statt, sondern es wird unter einigen wenigen etwas vereinbart und durch Kommissionen neben dem Parlament vorentschieden.

(…) Die Schnelligkeit, mit der jetzt Politik – oft ohne Not – bei einigen herausragenden Entscheidungen verläuft, ist beunruhigend. Und sie führt zu Frust bei Bürgern und Politikern sowie zu einer vermeidbaren Missachtung der Institutionen parlamentarischer Demokratie.

(…) Die Politik hat heute kommunikative Mängel. Sie erklärt nicht mehr ausreichend das, was getan werden muss, sie priorisiert nicht mehr die größten Herausforderungen, und sie überfordert uns durch ihr rasantes Tempo. Es ist der unbedingte Wille, unabhängig von der Halbwertszeit politischer Aussagen immer wieder schnell Geschlossenheit herzustellen. Da bleiben viele Engagierte auf der Strecke.

(…) Etwas Grundsätzliches ist aus den Fugen geraten. Es gibt das Gefühl, dass es nicht fair zugeht. Dass es zu viele gibt, die profitieren, ohne beizutragen: Einzelne in Europa, die über Jahre falsche statistische Zahlen geliefert haben, andere, die das nicht bemerkt haben, und wieder andere, die Sanktionen verhindert haben; Einzelne in Griechenland, die sich der fairen Besteuerung entziehen; Trittbrettfahrer in der Finanzwelt, die an Staaten mit hohen Staatsschulden immer noch bestens verdienen und darauf setzen, dass sie von der Politik aufgefangen werden. Fairness ist ein urmenschliches Bedürfnis. Sie ist die Voraussetzung für Kooperationsbereitschaft zwischen Menschen und Ländern. 

Diese Erkenntnisse dürfen nicht ignoriert werden. Menschen reagieren empfindlich, wenn Fairnessprinzipien verletzt werden. Im schlimmsten Fall bricht Kooperation ganz zusammen. Deswegen muss Unfairness sanktioniert werden. Manchmal hilft auch eine Entschuldigung.

(…) Zum Thema Finanzwelt, Bankenwelt, auch zur notwendigen Haftung privater Gläubiger habe ich beim Bankentag gegenüber den Verantwortlichen deutlich Position bezogen und die Notwendigkeit ausgesprochen, dass es zu einer umfassenden Mitverantwortung der Eliten kommen muss. Das heißt eben auch Mithaftung. Die Banken müssen Verantwortung übernehmen: zum Beispiel Kredite strecken, Zinsen verändern. Hier ist die Position des deutschen Bundestages sehr hilfreich. Hier zeigt sich die Qualität und Kompetenz der parlamentarischen Demokratie.

(…) Die Parteien sollten sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe besinnen. Parteitage brauchen auch eine kritische Selbstreflexion: Verzicht auf die rein mediale Inszenierung, bei der die Parteitagsregie nur an die Wirkung in der Öffentlichkeit denkt, anstatt offene Diskussionen zuzulassen. Wenn aber Parteitage nicht beteiligt werden an Grundsatzentscheidungen und Richtungsänderungen, ist es schwer, dafür zu werben, sich in Parteien zu engagieren. Auch darin liegt ein Grund für die Krise des Parlamentarismus und der Parteiendemokratie.

Quelle: http://www.zeit.de/2011/27/Interview-Wulff/

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