Nachfolgend Teil 2 der
Schriftliche Arbeit zur Erlangung des Diploms der Schweizerischen Tourismusfachschule STF, Plaine Bellevue, Postfach 80, 3960 Siders Bezness in Hurghada
Autorin Referent
Tschanz Kassem Franziska Anthamatten Hermann
Eingereicht am 15. Juni 2007
Schweizerische Tourismusfachschule Siders (VS)
Tschanz Kassem Franziska Bezness in Hurghada
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1. Einleitung
1.1. Das Phänomen Bezness
1.1.1. Definition nach Wikipedia
Bezness wird bei Wikipedia im Bezug auf Nordafrika wie folgt definiert:
Der Begriff Bezness ist nicht wörtlich übersetzbar, leitet sich jedoch von
dem englischen Wort Business (dt. „Geschäft“) [und dem deutschen Wort
Beziehung] ab und bezeichnet im weitesten Sinne „das Geschäft mit
(europäischen) Frauen“. (…)
Die primären Ziele von Bezness [für die Männer] sind eine sexuelle
Beziehung zu den Touristinnen, Geld, sowie eine mögliche
Aufenthaltsberechtigung im Heimatland der Frau durch eine eventuelle
Ehe.
1.1.2. Definition für die Arbeit
Der Begriff Bezness stammt aus Nordafrika (ursprünglich aus Tunesien), wird
aber durch die Berichterstattung in deutschen Medien auch hier immer mehr ein
Begriff. Das Phänomen Bezness kann man nicht nur in Nordafrika beobachten,
sondern in vielen touristischen Destinationen in der ganzen Welt.
Wissenschaftliche Untersuchungen dieses Phänomens gibt es vor allem für die
Karibik. In der wissenschaftlichen Fachliteratur wird dabei meist der Begriff
Romanzen- oder Sextourismus verwendet.
In Ägypten wird der Begriff „Bezness“ nicht verwendet und auch nicht
verstanden, meist wird die Tätigkeit mit „to fish women“ umschrieben.
Im Folgenden wird im Rahmen dieser Arbeit trotzdem nur der Begriff „Bezness“
verwendet, da dieser Begriff angebrachter als Romanzen- oder Sextourismus
erscheint, um das Phänomen in Hurghada zu beschreiben.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bezness (22. Mai 2007). Über die Neutralität des Beitrages wird
noch diskutiert, allerdings weniger im Bezug auf die Definition.
Siehe auch Kapitel 1.3
Quelle: eigene Beobachtung. Dies erklärt im Übrigen auch die Abbildung auf dem Deckblatt.
Tschanz Kassem Franziska Bezness in Hurghada
In der Definition von Wikipedia fehlen allerdings Absichten, Ziele und Motive der
Frauen gänzlich. Um diesen Aspekt zu ergänzen, wird im Folgenden „Bezness“
für diese Arbeit definiert als Phänomen, bei dem die Touristinnen von einer Beziehung/ Partnerschaft
nach westlichem Verständnis ausgehen, während den Männern die
Verbindung als Lebensunterhalt oder zum Vergnügen dient.
Binationale Beziehungen, die den oben genannten Kriterien nicht entsprechen,
werden also in dieser Arbeit NICHT angesprochen. Auch reiner Sextourismus
oder Urlaubsflirts von Touristinnen werden NICHT untersucht, da diese nicht
Bezness entsprechen (Aspekt der Beziehung fehlt).
Durch die Definition wird auch klar, welches das grundsätzliche Problem von
Bezness ist – nämlich dass beide Partner nicht die gleichen Vorstellungen,
Motive und Ziele innerhalb der Verbindung haben.
Wird im Folgenden von „Frau“ oder „sie“ in diesem Sinne gesprochen, wird damit
die europäische Touristin gemeint. Wird dagegen vom „Mann“ oder „ihm“
gesprochen, ist darunter der ägyptische Beznesser zu verstehen.
Beweggründe und Motive sind immer auch abhängig von sehr vielen Faktoren.
Verallgemeinerungen konnten nicht verhindert werden, da der Rahmen der
Arbeit sonst gesprengt worden wäre, zumal keine wissenschaftliche Erkenntnisse
zu der Situation in Hurghada vorliegen.
1.1.3. Kriterien zur Definition anhand der Umfrage
In den Umfragen wurde den teilnehmenden Frauen auch die Frage gestellt,
anhand welcher Kriterien sie Bezness definieren würden. Alle abgefragten
Kriterien sind möglicher Bestandteil von Bezness und es sollte geprüft werden,
inwiefern die Gewichtung dieser Kriterien variiert.
Siehe vorangehendes Kapitel
Siehe Kapitel 1.2.2
…
Kriterien zur Definition von Bezness
Geldforderungen Andere
Beziehungen
Unehrlichkeit Vorteil durch
Heirat
Forderung von
Geschenken
Altersunterschied
…
Vor allem die Kriterien, ob Geldforderungen gestellt werden, ob der Beznesser
gleichzeitig noch Beziehungen mit anderen Frauen hat und dass er eine
europäische Frau nur zu seinem Vorteil heiraten will, wurde von einem grossen
Teil der Frauen als zutreffendes Kriterium für Bezness erachtet.
Hinsichtlich der Höhe der Beträge bei Geldforderungen wurden verschiedene
Angaben gemach, meist wurde das Kriterium als erfüllt erachtet, wenn der Betrag
100 EUR überstieg.
Bei der Frage nach anderen Beziehungen wurde angeführt, dass dieses Kriterium
alleine nicht ausreiche, um Bezness zu definieren. Wenn der Mann aber mehrere
Beziehungen gleichzeitig unterhält um seinen Gewinn zu maximieren, ist dies oft
ein wichtiger Bestandteil von Bezness.
Besonders die Absicht auf Heirat, um damit eine Aufenthaltsmöglichkeit im
Heimatland der Frau zu erhalten, definieren 94% der Frauen als Kriterium für
Bezness.
Da direkte Geldforderungen gerne vermieden werden um das Misstrauen der Frau
nicht zu wecken, wird oft nach (teuren) Geschenken, wie beispielsweise Handys,
Kleider, Parfums oder Autos gefragt.
Beim Altersunterschied wurde immer wieder die Überlegung angeführt, dass ein
arabischer Mann normalerweise nie eine ältere Frau heiraten würde. Meist wurde
ein Altersunterschied von zehn Jahren angegeben, wobei die Frau älter ist als der
Mann, damit das Kriterium erfüllt ist.
Bei weiteren Kriterien wurde mehrmals angegeben, dass Gefühle vom Beznesser
nur vorgetäuscht werden, um sein Ziel zu erreichen, sowie gezielte Manipulation
der Frau.
Zum Vergleich: Ein einfacher Hotelangestellter verdient in Hurghada ohne Trinkgelder im Monat
zwischen 30 und 100 EUR.
1.2. Methodik
1.2.1. Auswertung der Fachliteratur
Leider gibt es keine Untersuchungen oder Literatur zu Bezness in Hurhgada. Wie
schon erwähnt, kann das Phänomen aber in vielen touristischen Destinationen
beobachtet werden.
Die verfügbare Literatur setzt sich vor allem mit Sex- oder Romanzentourismus in
der Karibik auseinander. Einzelne Artikel befassen sich mit Tunesien, Ecuador,
Gambia und Indonesien. Diese liefern erste Erkenntnisse über das Vorgehen,
Motive und Hintergründe der Männer und Frauen.
Anhand dieser Informationen und Kriterien aus der Fachliteratur wurde die
Situation in Hurghada ausgewertet. Die Erkenntnisse aus bestehenden Studien
wurden, wo angebracht, mit den eigenen Beobachtungen und Erfahrungen
anderer in Hurghada verglichen und zur Untermauerung der Erkenntnisse aus den
Umfragen und Foren beigezogen.
1.2.2. Umfragen und Auswertung der Foren
Wie schon erwähnt wurden bisher im Zusammenhang mit Bezness und Hurghada
keine Untersuchungen durchgeführt. Um dennoch erste Anhaltspunkte zu haben,
wurden verschiedene Online-Umfragen gemacht. Dazu wurde ein Link zum
Fragebogen in verschieden Foren eingestellt:
I. Forum: http://www.1001geschichte.de
ist die Website der deutschen Autorin Evelyne Kern, die durch eine
Beziehung mit einem Tunesier selber Erfahrung mit Bezness machte. Sie
hat ihre Erfahrungen im Buch „Sand in der Seele“ verarbeitet und
daraufhin das Forum für betroffene Frauen eingerichtet.
Siehe Kapitel 1.3
…
Kern Evelyne, Sand in der Seele, Verlag Kern, 2007, 360 Seiten
Insgesamt haben an der Umfrage 88 Frauen teilgenommen, die in
Hurghada waren. Sie wurden unter Anderem zu möglichen Motiven von
Frauen und Männern und zur Definition von Kriterien von Bezness befragt.
Die Mehrheit der Frauen, die an der Umfrage teilgenommen haben, stammt
aus Deutschland (78%), je 7% stammen aus Österreich und der Schweiz.
Die Altersspanne umfasst 17-63 Jahre.
Nicht alle diese Frauen sind oder waren von Bezness betroffen, viele
Leserinnen der Website sind allerdings in irgendeiner Form involviert.
Die Betreiber des Forums akzeptieren keine Beiträge über funktionierende
binationale Beziehungen – insofern muss man sich bewusst sein, dass
sich das Forum AUSSCHLIESSLICH „dem Kampf gegen Bezness“ widmet.
Mögliche Erklärungen zum Verhalten der Männer werden nicht berücksichtigt.
Somit kann die Umfrage nicht als allgemein repräsentativ bezeichnet
werden, nur in Bezug auf das Forum.
II. Forum: http://www.dezy-house.ru
Der Fragebogen wurde weiter in das russische Forum „Dezy House“
eingestellt, welches Beschreibungen und Fotos von „Tätern“ veröffentlicht.
Durch diese weitere Umfrage sollte eruiert werden, ob es eine
unterschiedliche Haltung der deutschsprachigen/ westeuropäischen und
russischen/ osteuropäischen Frauen im Bezug auf Bezness gibt bzw ob
diese Frauen Bezness anders definieren.
Der Link zum englischsprachigen Fragebogen wurde aber nach kurzer Zeit
gelöscht und er konnte nur von drei Teilnehmerinnen ausgefüllt werden.
Somit ist es unmöglich, einen aussagekräftigen Vergleich zu machen. Im
Folgenden wurden diese drei Antworten deshalb vernachlässigt.
III. Forum: http://www.egyptsearch.com
Das Forum wird von Ägyptern und Ägypten-Fans genutzt. An der
englischsprachigen Umfrage haben neun ägyptische Männer
teilgenommen. Mit Ausnahme von einer Person stammen alle befragten
Männer aus Kairo. Der Ausbildungsgrad reicht von keiner abgeschlossenen
Ausbildung bis zum Master. Durch die tiefe Anzahl von Antworten kann
auch diese Umfrage als nicht repräsentativ bezeichnet werden.
Eine persönliche Befragung der Beznesser hat bewusst nicht
stattgefunden. Durch das Forum, die Literatur und persönliche Erfahrungen
kann aber doch ein breiter Überblick über mögliche Motive gegeben
werden. Insgesamt decken sich diese mit den Antworten aus der Umfrage.
Die Ergebnisse der Umfragen werden im Folgenden in die Arbeit einfliessen.
Auch die Diskussionen und Geschichten auf den Foren wurden verwendet, um die
Erkenntnisse auszuwerten und zu stützen.
Zeitraum der Befragung: 17. April 2007 – 18. Mai 2007
http://www.egyptsearch.com/forums/ultimatebb.cgi?ubb=get_topic;f=3;t=003053 (19. Mai 2007)
Die Rohdaten der Umfragen sind der Arbeit in Form einer CD beigelegt.
1.2.3. Interviews
Eine Interviewanfrage vom 12. April 2007 beim ägyptischen Fremdenverkehrsamt
in Bern wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dies ein zu persönliches
Thema sei, um sich offiziell zu äussern.
Die ägyptische Botschaft in der Schweiz wie auch in Deutschland haben
Interviewanfragen per Mail nicht beantwortet.
Am 21. Mai 2007 wurde ein Interview mit dem Imam der Moschee Bern, Ahmed
Omar, durchgeführt.
Der Imam berät muslimische und binationale Paare im Falle
von Konflikten. Die Erkenntnisse aus dem Interview sind vor allem in das Kapitel 7
(Konflikte) eingeflossen.
1.2.4. Eigene Erfahrungen
Schliesslich sind auch eigene Beobachtungen und Erkenntnisse, gesammelt
während einem einjährigen Aufenthalt der Autorin in Ägypten, mit in die Arbeit
eingeflossen.
Der Fragekatalog befindet sich im Anhang IV. Dieser diente dabei nur als Stützte und die Fragen
wurden nicht chronologisch beantwortet. Deshalb wurde auf das Anfügen der gemachten Notizen
verzichtet.
1.3. Stand der Fachliteratur
Wie schon erwähnt, gibt es bisher erste wissenschaftliche Erkenntnisse zur
Situation in der Karibik. Insbesondere in Jamaika und der Dominikanischen
Republik wurden schon Studien und Befragungen mit Betroffenen durchgeführt.
Im Moment findet im wissenschaftlichen Diskurs eine Kontroverse statt.
Diese dreht sich um die Frage, ob im Hinblick auf die Karibik die Bezeichnung
„Romanzentourismus“ oder „Sextourismus“ angebrachter für das Verhalten der
Touristinnen ist.
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, weiter auf diese Kontroverse
einzugehen, grundsätzlich geht es aber um die Diskussion, welche Motive die
Frauen haben (romantische Beziehung oder Sex) und die Frage, ob sich ihre
Motive von jenen der männlichen Sextouristen unterscheiden.
Auch die Frage, ob es sich bei diesem Phänomen um Prostitution handelt, soll
hier, anders als in der Fachliteratur, nicht weiter diskutiert werden.
Sicherlich spielen ökonomische Überlegungen der Männer eine wichtige Rolle, aus seiner
Sicht würde sich aber kein Beznesser als Prostituierter bezeichnen.
DAHLES
und BRAS argumentieren in ihrem Artikel, dass man solche Verbindungen weder
mit dem Konzept „Prostitution“ noch dem Konzept „Liebe“ treffend
charakterisieren kann.
Stand Februar 2007. Inzwischen sind die Resultate einer weiteren Studie zu Dahab (Ägypten)
erschienen. Leider konnten diese aber für die Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden. Der
Vollständigkeit halber soll diese aber hier dennoch erwähnt werden. Abdalla, Mustafa – Beach
Politics: Gender and Sexuality in Dahab, The American University in Cairo Press (30. April 2007)
…
In dieser Arbeit wird grundsätzlich auf die Begriffe Romanzen- oder Sextourismus
verzichtet, da es um Bezness, mit der in Kapitel 1.1.2 getroffenen Definition, geht.
Dabei spielt der grundsätzliche Unterschied im Verständnis der Verbindung eine
so grosse Rolle, dass weder der Begriff „Liebesbeziehung“ noch „Prostitution“
(sexuelle Leistung gegen Bezahlung) das Phänomen als Ganzes erfassen
können.
Obwohl die bestehende Literatur diesen Aspekt oft ausser Acht lässt und sich nur
mit Sex- oder Romanzentourismus befasst, sind die bestehenden Erkenntnisse,
wo angebracht, in diese Arbeit eingeflossen. Sexualität oder finanzielle Interessen
sind wichtige Aspekte von Bezness, aber eben nicht die Einzigen.
Nebst der Literatur über die Karibik gibt es einzelne Artikel zu Gambia,
Indonesien, Ekuador, Israelund Tunesien, sowie ein Buch über
weiblichen Sextourismus, welches erst kürzlich erschienen ist.
Eine Übersicht der verwendeten Literatur befindet sich in der Bibliographie.
2. Zielsetzung
Vordringlichstes Ziel der Arbeit ist es, über das Phänomen Bezness in Hurghada
zu informieren. Dabei sollen Motive BEIDER Seiten näher beleuchtet werden, auf
das Konfliktpotential einer solchen Verbindung eingegangen und mögliche
Auswirkungen auf das Umfeld aufgezeigt werden.
Ziel der Kapitel 3 und 4 ist es darzustellen, inwiefern sich die Destination
Hurghada auf das Phänomen Bezness eingestellt hat und Infrastrukturen und
institutionelle Einrichtungen darauf abgestimmt wurden. Auch mögliche
Voraussetzungen, die Bezness in Hurghada begünstigen, sollen nicht ausser Acht
gelassen werden.
Dadurch, dass beiden Partnern ein ganz anderes Verständnis von Beziehung
zugrunde liegt, gibt es auch unterschiedliche Motive, Bedürfnisse und Ziele. Diese
sollen in den Kapiteln 5 und 6 näher beleuchtet werden. Das Handeln beider
Parteien soll in keiner Weise entschuldigt oder verurteilt werden, sondern es wird
auf die unterschiedliche Beurteilung durch andere kulturelle, gesellschaftliche und
persönliche Hintergründe eingegangen.
Durch diese unterschiedlichen Hintergründe entsteht ein grosses Konfliktpotential.
Ziel des Kapitels 7 ist es, auf dieses hinzuweisen. Kein Ziel der Arbeit ist, eine
Lösung für diese Konflikte zu finden. Kultur und Gesellschaft prägen Personen so
stark, dass es schwierig sein dürfte, Konflikte, die einer Bezness-Verbindung
zugrunde liegen für beide Seiten befriedigend zu lösen, zumal die Bereitschaft zur
Konfliktlösung wohl kaum vorhanden ist.
Abschliessendes Ziel des Kapitels 8 ist es, einige Aspekte der Auswirkungen von
Bezness auf die Bereisten, deren Umfeld, sowie auf die Touristinnen aufzuzeigen.
Grundsätzlich befasst sich die Arbeit nicht mit Touristinnen, die ausschliesslich
aus sexuellen Motiven reisen und auch nicht mit „normalen“ binationalen
Beziehungen.
3. Die Destination Hurghada
3.1. Die Rolle des Tourismus
Bis in die achtziger Jahre war Hurghada ein kleines Fischerdorf. Nach dem Bau
von einzelnen Hotelanlagen entwickelte sich der Ort während den neunziger
Jahren immer mehr zur massentouristischen Destination. Im Jahr 2004 wurden
über eine Million Touristenankünfte registriert, alleine in den ersten vier Monaten
des Jahres 2005 waren es schon über 700’000 Ankünfte.
Hurghada ist eine der beliebtesten Tauch- und Badeferiendestinationen Ägyptens.
Einheimische Kultur hat die Stadt (ausser einer Moschee) keine zu bieten. Dafür
werden den Touristen Ausflüge nach Kairo oder Luxor angeboten.
Der Tourismus nimmt in der ägyptischen Volkswirtschaft einen wichtigen
Stellenwert ein, nach Schätzungen produziert er über 20% des ägyptischen BIP.
Somit wird durch den Tourismus eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geschaffen.
Alleine in den 136 momentan bestehenden Hotels in Hurghada mit einer
Bettenkapazität von 57’000 Betten arbeiten fast 30’000 Personen. An weiteren 33
Hotels wird im Moment noch gebaut.
Wegen seiner positiven wirtschaftlichen Effekte trägt der Tourismus auch zur Stabilisierung des politischen Systems bei.
Nach den Anschlägen in Luxor im September 1997 und dem dadurch
begründeten Ausbleiben von westeuropäischen Touristen wurde die Destination
verstärkt vom russischen und osteuropäischen Markt entdeckt…
Auch verschob sich durch den Anschlag das Gewicht vom Kulturtourismus in
Kairo und Oberägypten vermehrt in Richtung Bade- und Strandtourismus (vor
allem Rotes Meer/ Hurghada und Sinaihalbinsel/ Sharm el-Sheik).
Ein grosser Teil der touristischen Wertschöpfung verbleibt nunmehr in den
Händen der ausländischen Grosskonzerne, die in firmenintegrierte Ressorts an
den Küsten investierten. Durch diese Konzentration der Marktmacht verlieren die
einheimischen Leistungsträger immer mehr an Einfluss.
3.2. Entwicklung
Mit der Zunahme des Badetourismus wuchs die Bevölkerung Hurghadas
innerhalb von kürzester Zeit auf bis über 87’000 Einwohner.
Hinzu kommen etwa 140’000 Pendler, die unregelmässig in Hurghada direkt oder indirekt vom
Tourismus leben.
Die fast ausschliesslich männlichen Bewohner verlassen ihre
Familien, meist aus Kairo und Oberägypten, um in den Badedestinationen Arbeit
und Verdienst zu finden.
Schon in der Infrastruktur Hurghadas ist zu erkennen, dass die Stadt
explosionsartig wuchs und nicht die normalen ägyptischen
Gesellschaftsstrukturen aufweist. Wasser, welches aber nicht trinkbar ist, muss
grösstenteils mit Tanklastwagen aus dem 230 km entfernten Qena
herbeitransportiert werden. Zum Trinken und Kochen müssen abgefüllte
Wasserflaschen gekauft werden. Die Stadt ist in zwei Sphären geteilt – der
Bereich der Touristen ist relativ sauber, die Hotelanlagen modern, die
Zugangsstrassen betoniert. Der Bereich der Bevölkerung verfügt über keinerlei
Abwassersystem, die Abwassergruben der Häuser werden regelmässig
ausgepumpt. Eine Abfallentsorgung gibt es nicht, der Kehricht stapelt sich in den
ungeteerten Strassen.
Hurghada verfügt praktisch nur über möblierte Wohnungen oder Studios, die
meist von mehreren Männern geteilt werden. Geschäftszweige wie Wäschereien
und kleine Imbisse florieren, da keine Familien mit Frauen vorhanden sind, welche
sonst die Aufgaben innerhalb des Haushaltes übernehmen.
Weiter entstand eine Vielzahl von Internetkaffees, durch welche die
Kommunikation nach aussen sichergestellt werden kann. Oft kann man
Beznesser dort beobachten, wie sie mit verschiedenen Frauen gleichzeitig
chatten.
Obwohl die Lebensunterhaltskosten in Ägypten tiefer sind als in der Schweiz, sind
die Ausgaben für Miete, Lebensmittel und Kleider in Hurghada durch den
Tourismus enorm gestiegen. Allein die Miete für eine möblierte
Dreizimmerwohnung liegt im Moment bei etwa 1500 LE (ca. 320 CHF).
Bei einem durchschnittlichen Verdienst eines Hotelangestellten von 150 CHF pro
Monat müssen die Wohnungen meist von mehreren Männern geteilt werden.
Durch die Öffnung des russischen Marktes kam es zu einem signifikanten
Preiszerfall. Ein vier Sterne Haus in Hurghada verkauft ein Zimmer all-inclusive
heute für neun US-Dollar pro Tag und Person an die ägyptischen
Reiseveranstalter. Um im hart umkämpften, osteuropäischen Markt bestehen zu
können, werden die Zimmer zum gleichen Preis an die russischen
Reiseveranstalter weiterverkauft. Somit leben die ägyptischen Reiseveranstalter
meist vom direkten Verkauf von Ausflügen an Touristen, sowie den Einnahmen
aus Kommissionen von Verkäufen während diesen Ausflügen.
3.3. Angebotsstruktur
Die Destination ist ganz auf die Bedürfnisse der Touristen ausgerichtet, in der
Hauptverbindungsstrasse (Sheraton Road) reiht sich Souvenirshop an
Souvenirshop. Die weitere touristische Infrastruktur von Hurghada umfasst vor
allem Hotels, Restaurants und Einrichtungen weiterer touristischer
Leistungsträger.
Ägyptern ist der Zugang zu Hotels und deren Stränden
untersagt, in Discotheken wird ihnen meist nur mit weiblicher Begleitung Eintritt
gewährt.
Da der Markt für Souvenirs (nebst der Arbeit in einem Hotel oder als Reiseführer
ein wichtiger Erwerbszweig) einerseits total überschwemmt ist und andererseits
die finanzstarke Klientel fehlt (Abnahme der westeuropäischen Gäste), führte der
Konkurrenzkampf auch hier zu einem Zusammenbruch der Preise. BOWMAN
beschreibt in seinem Artikel die Situation in Jerusalem, die aber genauso auf die
Lage in Hurghada zutrifft:
The merchants of the tourist market, (…), strove to sell nearly identical
items – mementoes with little if any use value – o a transient population
which was only vaguely desirous of souvenirs. They neither sold the sorts
of good which ensured demand, provided the sort of specialization which
made one shop different from the next, nor could depend on a flow of
established customers (…). In consequence, the tourist suq [market] (…)
was, to a rather brutal degree, a buyer’s market.
…
3.4. Informeller Sektor
Durch die schwierige Ertragslage nimmt der informelle Sektor in Hurghada eine
wichtige Rolle ein.
Als informeller Sektor wird landläufig der Teil einer Volkswirtschaft
bezeichnet, der im Gegensatz zum formellen Sektor nicht durch
formalisierte Beschäftigungsverhältnisse geprägt ist und sich dadurch der
staatlichen Kontrolle oft entzieht.
Die Tätigkeit im informellen Sektor ermöglicht je nach Erfolg eine Neben- oder
Haupteinnahmequelle, da die Beschäftigung im formellen Sektor ein zu kleines
Einkommen generiert um den gewünschten Lebensstandard zu finanzieren.
Im informellen Bereich wird vor allem durch Vermittlungstätigkeiten versucht, eine
Kommission zu erwirtschaften, beispielsweise bei der Vermittlung einer Wohnung,
eines Ausfluges, eines Autokaufs oder bei Einkäufen. Da die Vermittlungstätigkeit
einen finanzstarken Investor voraussetzt, sind Touristinnen gerne gesehene
„Partner“.
Der informelle Sektor ist auch deshalb so wichtig, weil viele Männer gar nicht eine
ausreichende Bildung haben, um eine Arbeit im formellen Sektor zu finden.
PRUITT und LAFONT erwähnen (in Zusammenhang mit Jamaika) folgendes:
Yet, uneducated and unskilled young men living near the resort areas are
effectively cut off from formal jobs in the tourism industry. The prevalence
of romance tourism [d.h. Bezness] has meant that increasing numbers of
young men routinely view a relationship with a foreign woman as a
meaningful opportunity for them to capture (the love and) money they
desire.
In Hinblick auf Bezness kommt dem informellen Sektor eine besondere
Bedeutung zu, da die Reisen und Aufenthalte der Frauen oft privat organisiert
sind. Weiter besteht innerhalb des informellen Sektors eine Art Netzwerkfunktion,
indem man beispielsweise im Souvenirshop, in welchem der Cousin oder jemand
aus dem gleichen Dorf arbeitet, mit der Frau einkauft. Ressourcen verbleiben
innerhalb des Netzwerkes und man kann darauf zählen, dass sich der Cousin
oder Freund bei der nächsten Gelegenheit revanchiert. Somit wird auch der
maximale Nutzen des Multiplikatoreffekts sichergestellt. Dies ist auch eine
Erklärung dafür, dass kein Interesse an moralischen Überlegungen besteht,
immerhin profitiert auch das Netzwerk.
Eine Institutionalisierung dieser Strukturen wird weitgehend ausgeschlossen, auch
wenn es (bedingt verlässliche) Quellen gibt, die behaupten, dass in Hurghada
junge Männer von Mitarbeitern der Reiseveranstalter mittels Katalogen an
(russische) Frauen angeboten werden.
Um den informellen Sektor einzudämmen, durch welchen der Staat Geld verliert
und welcher den Aufenthalt von unerwünschten, informellen Arbeitern in
Hurghada ermöglichte, wurden im Herbst 2006 alle Ausflugsbüros ohne staatliche
Lizenz geschlossen. Diese verkauften den Touristen auf der Strasse Ausflüge, die
weit unter den offiziellen Preisen der Hotels und Touroperatoren lagen. Meist
wurden die Ausflüge von denselben Leistungsträgern durchgeführt, die
Touroperatoren verkaufen diese aber mit einer sehr hohen Gewinnspanne, da sie
eine wichtige Einnahmequelle darstellen.
Der über den informellen Sektor verkaufte Ausflug aber musste neben den anfallenden Kosten nur die
Kommission/ Gewinn des Vermittlers und Anbieters decken und war somit
günstiger. Mit der Schliessung dieser Ausflugsbüros verloren viele einen für sie
wichtigen Nebenverdienst.