Die Debatte um das umstrittene Grass-Gedicht geht unvermindert weiter (gestern auch zu sehen bei Maybrit Illner/ZDF). Doch wie denken eigentlich die jungen Israelis darüber (und nicht nur ältere Politikerherren)?

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat nachgefragt:

 

Debatte um Grass-Gedicht „Ich fürchte mich vor der israelischen Regierung“

12.04.2012, 17:56        2012-04-12 17:56:19

 

Die Debatte um das Gedicht von Günter Grass war vor allem die ergrauter Intellektueller und Politiker. Süddeutsche.de lässt nun junge Israelis zu Wort kommen. Die finden: Auch Deutsche haben das Recht, sich über die Politik ihres Heimatlandes aufzuregen.        

Im SZ-Gespräch fragten wir, wie sie die Debatte in Israel wahrnehmen und was sie von der Grassschen Kritik halten.

Danielle Blumenstyk, 26, Peace-Now

„Als die Regierung Günter Grass zur Persona non grata erklärte, fand ich das einfach nur dämlich. Ich bin in den Medien auf die Debatte gestoßen. Es hieß, das Gedicht sei antisemitisch. Ich wollte mir selber ein Bild machen und habe im Internet eine englische Version gefunden. Also, antisemitisch finde ich es nicht. Aber die Ansichten, die Grass in seinem Gedicht äußert, sind meiner Meinung nach völlig unrealistisch.

Dass Israel über Atomwaffen verfügt soll eines der größten Probleme in der Welt sein? Sicher nicht.

Israel tut sich aufgrund der gemeinsamen Geschichte grundsätzlich schwer mit Kritik aus Deutschland. Dabei sollte es meiner Meinung nach für jeden möglich sein, unser Land zu kritisieren. Die Frage ist, wie diese Kritik geäußert wird. Abgesehen davon habe ich keinen besonderen künstlerischen Wert beim Lesen entdecken können.“

Gilad Kenan, 26, Student

„In den Medien war eigentlich nie von dem Gedicht selbst die Rede. Es ging nur ständig darum, dass ein ehemaliger SS-Mann Israel kritisiert. Auch wenn ich unter anderem Deutsch studiere, habe ich vorher noch nie etwas von Günter Grass gehört. Ich habe mittlerweise ein bisschen über ihn gelesen. Er scheint ein sehr moralischer und politischer Mensch zu sein. Dabei ist er durchaus darauf bedacht, ausgewogen in seiner Kritik zu sein. Das trifft auch auf sein Gedicht zu.

Grass hält meiner Meinung nach sehr gut die Balance zwischen der historischen Verantwortung und seiner Kritik. Für mich als Jude, der auch deutsche Wurzeln hat, ist das positiv.

Mir hat das Gedicht selbst keine neuen Denkanstöße gegeben. Ich bin gegen Nuklearwaffen und finde es nicht gut, dass Deutschland uns bei der Bewaffnung unterstützt. Damit ist die Kritik von Grass durchaus legitim. Die Reaktionen von Israel zeigen, dass man bei uns kritische Diskussionen von vornherein scheut. Alle sollen zusammenhalten. Das ist bei uns so drin. Auch in mir, aber ich versuche dennoch, Kritik zuzulassen.“

Gadi Kenny, Friedensaktivist

„In den 70er oder 80er Jahren war Günter Grass in Israel ein sehr populärer Schriftsteller. Ich habe seine Bücher oft bei Bekannten gesehen. Besonders für meine Generation ist Grass also durchaus ein Begriff. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es jetzt in Israel eine so große Diskussion darüber gibt.

Ich habe über ihn in der Tageszeitung Haaretz gelesen, wo er bis heute in Artikeln besprochen wird. Interessanterweise gehört die Zeitung Israelis mit deutschen Wurzeln.

Ansichten, wie Grass sie äußert  sind mittlerweile weit verbreitet. Das liegt wohl daran, dass die Situation in Israel aufgrund der Terroranschläge immer problematischer geworden ist. Es würde mich interessieren, wieviel Grass wirklich über die Israelis und die Iraner weiß. Ich für meinen Teil fürchte mich vor der israelischen Regierung. Ich fürchte mich vor der ganzen Eskalation, der Militarisierung in meinem Land. Ich habe das Gefühl, dass Israel zu der Spitze des Eisberges in einem Kampf der Kulturen geworden ist.“

Guy Shamai, 28, Student

„Ich bin absolut nicht mit der Kritik von Günter Grass einverstanden. Israel gefährdet in keinster Weise den Weltfrieden. Die Regierung droht die ganze Zeit damit den Iran anzugreifen und sorgt damit für Aufregung aber sie wird es meiner Meinung nach nicht tun. Man darf nicht vergessen, dass Israel ein kleines Land ist.

Und überhaupt: Wir sind immer noch eine Demokratie und keine Diktatur. Bei uns herrscht immer noch Pluralismus.

Dass Grass jetzt als Persona non grata deklariert wurde, finde ich hysterisch. Das ist doch eine politische Show mit der man den Israelis zeigen möchte, dass man sie beschützt. Dabei kann doch jeder seine Meinung äußern. Naja, vielleicht ist das ganze auch nur eine PR-Kampagne und wir fallen alle darauf rein. Möglicherweise lesen jetzt auch mehr Leute in Israel Grass-Gedichte.“

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/debatte-um-grass-gedicht-ich-fuerchte-mich-vor-der-israelischen-regierung-1.1331114

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert