Veröffentlicht in dorian grey 16.11.12
Eine investigative Reportage von Guido Grandt
Je länger der Kampf dauert, umso schneller erreicht die Stimmung ihren Siedepunkt.
Nur Peter aus Münster interessiert sich nicht wirklich dafür. Dennoch schielt er mit einem Auge auf die kleine Joy, mit dem anderen auf sein Bargirl, die das Geschehen im Ring verfolgt. Den dicken, alten, schweißtriefenden Farang für einen Moment vergisst, der nur noch mit Viagra einen hoch kriegt. Aber zahlt. Sogar sehr gut zahlt.
Joy und Prasong tasten sich zunächst vorsichtig ab. Dann stürzen sie sich wie zwei kleine Tiger aufeinander, setzen alles ein, was ihnen ihr Körper an Waffen bietet: Fäuste, Ellbogen, Knie, Schienbeine und Füße. Hart und verbissen kämpfen sie, verkeilen sich in den Seilen. Es wird geschlagen, getreten und gerungen. Schwitzende Kinder in Action. Eine wahre Freude für jeden Pädophilen, der mal nicht durchs Kinderprogramm zappen muss. Sondern live dabei ist, wenn »Mini-Dornmöschen« gegen »Mini-Prinz-Eisenschwänzchen« antritt. Das jedenfalls gibt gerade ein anderer deutscher Tourist Münster-Peter zum Besten. Rotgesichtig von Äquatorsonne und Alkohol, reibt er sich im Schritt seiner bierbefleckten Shorts und lacht sich ins Onanierfäustchen. Auch Peter rutscht auf einmal unruhig auf seinem Barhocker herum. Genehmigt sich auf die neugewonnen Perspektive einer Short- oder Longtime mit einer viel jüngeren, als jener, an der er die ganze Zeit herumschraubt, noch ein Bier. Und noch eines, während er mit seiner Rechten etwas grob und unbeholfen die Knospen unter dem T-Shirt des Bargirls streichelt.
Währenddessen geht die wüste Kinderkeilerei im Ring weiter. »Hier gibt’s ordentlich was auf die Fresse«, ruft Mister Bierflecken-Shorts Peter aus Münster zu und lacht sich erneut schlapp, sich an den eigenen Worten aufgeilend.
Endlich Pause. Zwei Minuten Zeit zum Durchatmen. Höchste Anspannung in den Mini-Gladiatoren-Gesichtern. Schmerzen erduldend. Angst vergessend. Blicke ignorierend. Auch die lüsternen von dem dicken Farang, direkt gegenüber von Joy, der mit einer Hand an einem Bargirl rummacht und mit der anderen einen Mann mit bierbefleckten Shorts zu sich heranzieht. Mit ihm irgendwelche Scherze macht und dabei dauernd zu ihr rüber glotzt. Aus diesem Grund steht Joy hier im Ring: Um nicht so arm zu sein, dass sie es zulassen muss, dass solche Typen ihr für Geld wehtun.
Kaum versucht sie sich wieder auf den Kampf zu konzentrieren, stürmt der kleine Prasong schon auf sie zu. Er landet einen harten Scheinbeinkick gegen ihren linken Oberschenkel. Vor Schmerz schreit sie auf, verliert den Halt und geht zu Boden. Die Menge grölt. Nach Punkten liegt sie hinten, das weiß sie. Auf die Zähne beißend steht Joy wieder auf. Noch eine Runde. Immer wilder werden jetzt ihre Schläge, Tritte und Kicks. Gegen Kopf, Oberkörper und Beine des Jungen. Noch ein paar Minuten Vollgas. An ihre Eltern denken. An die kleine Garküche, die die Familie nur notdürftig über Wasser hält. Zu wenig zum Leben, zu wenig zum Sterben. Dann der Schlussgong: Endlich vorbei.
Der Ringrichter reißt Joys dünne Arme in die Höhe. Sie hat es geschafft. Sie hat gewonnen. Schwer atmend verbeugt sie sich dreimal zum Publikum. Umarmt kurz Prasong, dessen Namen sie nicht einmal kennt. In seinen Augen schwimmen Tränen. Nicht vor Schmerz oder Erschöpfung, sondern vor Enttäuschung über sich selbst. Dennoch: Gewinner und Verlierer gehen getrennt voneinander durch die dichten Reihen der Bar. Joy begleitet von ihrem Trainer, ihrem Vater. Prasong einsam und alleine. Sie sammeln, nein, sie betteln um Geld für ihren harten Kampf. Von den Zuschauern, den Touristen, den Farangs. Aber die meisten von ihnen scheren sich nicht um sie, geben auch nichts. Fummeln lieber an ihren Bargirls oder Ladyboys herum oder bestellen sich das nächste Bier. An das harte Los der Kinder wie Joy und Prasong verschwenden sie keinen Gedanken. Warum auch? Probleme haben sie zu Hause genug: Euro-Krise, Stress auf der Arbeit, in der Ehe, schlechtes Wetter oder weiß der Himmel was noch. Darum sind sie ja hier, im Paradies aus Sonne, Meer und Sex. Um ihrem Elend zu entkommen. Fast noch müsste man sie bemitleiden.
Auch Peter aus Münster gibt nichts. Schnell dreht er sich weg, als er sieht wie Joy von rechts und Prasong von links auf seine Thekenseite zu kommen. Alibimäßig flirtet er mit der grellgeschminkten Barlady, lässt die Kids an sich vorbeiziehen. Dann wendet er sich wieder um. Es wird Zeit fürs Hotel. Appetit hat er sich geholt, nun wird gegessen. Während der dicke Deutsche mit seiner zierlichen Thai aus der Bar watschelt zählen Joy und Parsong – jeder für sich – ihre Gage. Das Mädchen hat 600 Baht in der Hand. Gerade mal 15 Euro. Der Junge nicht mal die Hälfte.
So humpelt die neunjährige Joy, verletzt mit ihrem Vater an der Hand, nach hinten um sich umzuziehen. In der Hoffnung sich bis in ein oder zwei Tagen wieder erholt zu haben. Bereits zu sein für den nächsten Kampf als Kindergladiatorin.
Der kleine Prasong hingegen steht für einen Moment völlig alleine und enttäuscht da. Inmitten aller Laster und Sünden der ganzen Welt. Aus dem Ring tönt das Keuchen der nächsten Kinderkämpfer. Der Farang mit der Bierflecken-Hose kommt direkt auf ihn zu. Der Siebenjährige beeilt sich jetzt nach Hause zu seiner Mutter zu kommen. Beim nächsten Mal wird’s bestimmt besser. Vielleicht bekommt er dann 100 oder 200 Baht mehr. Mit Hilfe Buddhas ganz bestimmt.
Anmerkung des Autors:
1. Die thailändischen Behörden haben ihre Anstrengungen, die Pädophilen- und Päderastenszene einzudämmen, deutlich verstärkt. Zudem besteht der international bekannte Badeort Pattaya nicht nur aus Sex, Gewalt und verruchten Bars. Solche sind auf wenige Straßen verteilt, von dem der Besucher, der nichts davon weiß und nicht ihre Nähe sucht, fast nichts mitbekommt. Zudem leben hier auch viele Deutsche: Rentner, Familien, Aussteiger und Geschäftsleute. Der Durchschnitts-Thai ist äußerst höflich, freundlich und zuvorkommend. Probleme machen zumeist (männliche) Touristen aus aller Welt, die sich aufgrund ihrer finanziellen Vorteile gegenüber der einheimischen Bevölkerung als die »Master of the Universe« aufspielen. Dies gilt es auf das Schärfste zu verurteilen.
2. Muay Thai (Thai-Boxen) ist eine traditionelle Kampfkunst, die vor Jahrhunderten entwickelt wurde. Sie wird nicht nur als Wettkampf-, sondern auch als Fitnesssport und Selbstverteidigung gelehrt. Der Autor selbst trainiert Thai-Boxen. Auch Kinderkämpfe sind in der thailändischen Gesellschaft fest verankert. Werden sie an Körper und Kopf richtig geschützt – wie hierzulande beispielsweise die Kinderkämpfer im Taekwon-Do auch – spricht nichts dagegen. Die Auswüchse jedoch, Kinder aus Not und Wettgier und ohne ausreichenden Schutz in den Ring zu schicken, müssen meines Erachtens mit staatlichen Mitteln und Hilfen und entsprechenden Verordnungen eingedämmt werden.
3. Die Undercover-Recherchen zu den »Kindergladiatoren« haben mein Kamerateam und ich, sowie ein deutscher Kampfsporttrainer und ein ehemaliger Kinderthaiboxer zumeist mit versteckter Kamera gemacht. Daraus entstand eine Filmreportage für einen großen deutschen Sender, die bereits ausgestrahlt wurde.
MALKO WOLF (Investigativer Journalist):
»Aufgrund verschiedener Recherchen kenne ich Pattaya schon seit vielen Jahren. Die investigative Reportage von Guido Grandt legt den Finger in eine – nach westlicher Moral -offenen Wunde, die von der thailändischen Gesellschaft als solche gar nicht empfunden wird: Aus inoffiziellen Polizeikreisen weiß ich, dass verschiedene Polizeibeamte mit den Bars verbandelt sind, in denen die Kinderkämpfe stattfinden. Sie haben kein Interesse daran, dass dieses Thema negativ in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Vergessen werden darf aber nicht, dass die thailändische Gesellschaft solche Kämpfe verlangt. Thailänder haben mir immer wieder zu verstehen gegeben, dass sie zum Boxen, zum Kämpfen geboren seien. Schon von klein auf. Es gehört einfach zur Tradition dazu. Für viele Kinder geht es dabei ums monetäre Überleben, wie Guido Grandt es sehr plastisch dargestellt hat.«