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erschien folgender Artikel:

„Der rätselhafte Tod des Chefermittlers“

Wurde Natascha Kampusch von einem Einzeltäter entführt und eingekerkert? Polizeioberst Franz Kröll ging von einem Pädophilen- und Porno-Netzwerk aus.

 

Von Guido Grandt/Udo Schulze

2. März 1998: Die zehnjährige Natascha Kampusch verlässt gegen 7.45 Uhr die Wohnung am Rennbahnweg im Wiener Heimatbezirk Donaustadt und macht sich auf den Schulweg. Dabei wird sie von dem 44-jährigen Wolfgang Priklopil in einen weißen Kleintransporter gezerrt und ins niederösterreichische Strasshof entführt. Er versteckt das Mädchen in seinem Haus in einem Kellerverlies, das durch eine Tresortür gesichert ist.

23. August 2006: Nach achteinhalb Jahren oder 3096 Tagen gelingt Natascha Kampusch die Flucht. Als Priklopil ihr Verschwinden bemerkt, fährt er er mit seinem roten BMW nach Wien, wirft sich vor einen Zug und stirbt sofort.

10. Februar 2008: Polizeioberst Franz Kröll, damals Leiter des Landeskriminalamtes Steiermark, wird zum Chefermittler bei der Aufklärung des Verbrechens bestimmt.

Einem Journalisten gegenüber äußerte Kröll zwei Jahre später: »Der Fall hat eine Dimension wie Lucona. Ich bin knapp davor, ihn zu lösen und die Kriminellen zu entlarven.« Er spielt dabei auf die so genannte »Lucona-Affäre« an, die bis in die frühen 1990er Jahren ganz Österreich in Atem hielt, ein gigantischer Versicherungsbetruges in Millionenhöhe, der am Ende aber nicht gelang. Am 23. Januar 1977 war der Frachter »Lucona« durch eine Explosion im Indischen Ozean versenkt worden. Dabei starben sechs Besatzungsmitglieder. Als Drahtzieher des Anschlags gilt Udo Proksch, der Kontakte in die höchsten politischen Kreise und sogar bis in die österreichische Regierung hatte.

Proksch selbst wird im März 1991 zu 20 Jahren Haft verurteilt, im Januar 1992 im Berufungsverfahren sogar zu lebenslanger Haft. 2001 stirbt der »Politik-Networker« nach einer Herzoperation. Im Zuge der »Lucona«-Affäre werden insgesamt sechzehn hochrangige Politiker und Beamte von ihren Posten entfernt, angeklagt oder verurteilt.

Der ebenfalls in den Skandal verwobene damalige Verteidigungsminister Karl Lütgendorf, der vermutlich Munition für die Sprengung der »Lucona« beschafft hatte (obwohl der Nachweis im Gerichtsverfahren nicht gelang), begeht später Selbstmord. So jedenfalls die offizielle Version. Dabei hatte er sich mit einer Waffe in den Mund geschossen, die er in der linken Hand hielt. Und das, obwohl er Rechtshänder war. Dennoch wurden die Akten geschlossen.

Ähnlich zweifelhaft war der Selbstmord von Oberst Kröll selbst. Am 27. Juni 2010 tötete er sich mit seiner Dienstwaffe, einer Walther PKK, Kaliber 7,65 mm, angeblich wegen Depressionen. Auch er schoss mit links, war aber Rechtshänder. Vor allem sein Bruder Karl bezweifelt die Selbstmordversion. Bis zuletzt hatte er nach eigener Aussage ein gutes Verhältnis zu Franz und sah keinerlei Vorzeichen einer Suizidabsicht. In einem Interview mit dem österreichischen Kurier äußerst sich Karl Kröll zu dem mutmaßlichen Selbstmord seines Bruders: »Franz hat noch knapp vor seinem Tod zu mir und einem seiner Kollegen gesagt: ‚Diese Verbrecher hole ich mir noch. Den Fall löse ich, dann geh ich in Pension!‘«

Wir machten uns auf Spurensuche, um selbst zu recherchieren. Zunächst erfuhren wir von Karl Kröll, dass sein Bruder, nachdem die Akte Kampusch geschlossen worden war, auf eigene Faust weiter ermittelt habe. »Und ich glaube«, so Kröll, »dass er noch mehr wusste. Er führte immer ein Heft mit sich, worin er seine laufenden Ermittlungsergebnisse und -vorhaben notierte. Das Heft ist seit seinem Tod jedoch verschwunden.«

Der Kurier vermeldete im September 2011: »(Franz) Kröll hatte schon im Zuge der offiziellen Ermittlungen 2009 in einem Telefonat festgehalten, dass er hinter dem Entführungsfall ein Pädophilen- und Porno-Netzwerk vermute.« Auszüge eines Tonbandmitschnitts dieses Telefongespräches, das der Oberst mit einem Journalisten führte, wurden im Kurier zitiert. Dieses Tonband liegt auch uns vor. Nachfolgend geben wir umfassende Details daraus wieder:

Journalist: „In X, wenn ich da hingehen würde, da kommt ein weißer Lieferwagen, der bringt Kinder.“

Kröll: „Ein weißer Lieferwagen soll Kinder bringen?“

Journalist: „Der bringt Kinder, ja. Der liefert Kinder an. Da geht es um Waisenhäuser und Kinderheime, die liefern auch Kinder, die werden auch zur Adoption gegeben in diese Kreise.“ (…)

Kröll: „Uns allen geht es um die Aufdeckung schlimmster Verbrechen. Da geht es um die größten Schweine. Da kann man nur zusammenarbeiten. Diese Namen, die Sie uns genannt haben, haben wir alle überprüft, das sind sensible Personen. Wenn wir den kleinsten Fehler machen wird dieses Netzwerk tätig, verstehen Sie mich?“ (…)

Journalist: „Ich bin in den nächsten Tagen in Wien und dann könnten wir uns treffen…“

Kröll: „Ich bin da, wir sind da, Tag und Nacht, wenn es um so eine Sache geht. (…) Wir lassen da nicht zu, dass diese Leute hinausschlüpfen, nur weil sie es sich wieder richten. Das sind Kreise, das sind Leute, die Verbindungen bis in die höchsten Kreise haben. Um Gottes Willen, wenn die nur den geringsten Wind bekommen, da können Sie sich vorstellen, was sich da abspielt. Wir laufen auf, und die ganze Geschichte ist ein Flop. Dann wird der Spieß umgedreht (…).“

Wer sind die »sensiblen« Personen, die Verbindungen bis in die »höchsten Kreise« haben sollen, über die der Journalist und Oberst Franz Kröll sprachen? Stammen sie aus Politik- und oder Justizkreisen? Ähnlich wie in der „Lucona“-Affäre?

Herbert Szlezak, Sprecher des Vereins Opferinitiative, erzählte uns diesbezüglich in einem Interview: »Wir haben Kontakt gehabt mit Oberst Franz Kröll. Und Oberst Franz Kröll ist im Zuge seiner Recherchen ebenfalls zu der Erkenntnis gekommen, dass es ein hochkarätiges Netzwerk gibt, das diesen Fall vertuscht. (…) Es gibt keine Verschwörungstheorie in diesem Fall, nur eine Verschwörungspraxis.“

Gleich nach dem angeblichen Freitod des Chefermittlers ging sein Bruder Karl in dessen Wohnung und nahm einen USB-Stick, der er in einer Kaffee-Tasse fand, Dokumente, versteckt unter einer Matratze, sowie dessen Laptop an sich. Alle diesbezüglich gespeicherten Daten und Unterlagen betreffen den Fall Kampusch und sind hochbrisant und geheim. Franz Kröll hatte sie zu Hause »versteckt«, um den Ermittlungen auch in der Freizeit nachzugehen. Bruder Karl wusste davon. Später wurde bekannt, dass der Oberst seinem Bruder bereits im Juni 2010 einen USB-Stick, Aktenstücke und private Aufzeichnungen übergeben und gesagt haben soll: »Nur für den Fall, dass mir etwas passiert.«

Die Illustrierte die aktuelle gibt im Oktober 2010 das letzte Gespräch zwischen Oberst Franz Kröll und seinem Bruder wieder – wenige Wochen vor dessen Tod. Nachfolgend zitieren wir es in Auszügen:

Oberst Kröll: „Es wird immer gefährlicher. Ich muss mit allem rechnen. Mit dem Schlimmsten. Die Leute schrecken vor nichts zurück.“

Karl Kröll: „Wer?“

Oberst Kröll: „Die, die mit aller Macht verhindern wollen, dass der Fall Kampusch aufgeklärt wird. Die, die bis zum Hals da drin stecken in der Kindersex-Szene (…) Zum Bespiel ein Politiker aus Niederösterreich zum Beispiel, eine Beamtin aus dem Innenministerium, ein Richter, Kollegen, einer aus dem 15. Wiener Bezirk (…) Die Spitze vom Eisberg. Du weißt ja, schon einmal hing ein Strick an meiner Bürotür. Erinnerst du dich?“

Karl Kröll: „Hast du auch Namen von denen?“

Oberst Kröll: „Das macht ja die Sache so gefährlich. Ich muss gegen einflussreiche und mächtige Personen ermitteln und bin auf mich allein gestellt. Ich stehe vor einer riesigen stinkenden Blase aus Lügen, Abartigkeiten, Sex und Erpressung. Wenn ich in die Blase steche, wird es ein Beben in Österreich geben. Aber die werden das zu verhindern wissen. So wie sie in den letzten Jahren zu verhindern wussten, dass es im Fall Kampusch Ergebnisse gab. Dieses Mal haben sie es nicht so leicht wie bei meinen Vorgängern. Ich lass’ mich nicht einschüchtern (…) Karl, ich weiß, dass ich überwacht werde. Ich bin nicht einmal mehr in meinem Büro sicher. Es gibt mindestens einen Maulwurf. Da verschwinden Akten. Ich weiß nicht wem ich noch trauen kann.“

In der Folge wird Karl Kröll wegen der mitgenommenen Unterlagen aus der Wohnung seines Bruders verhaftet. Ihm wird unterstellt, den Toten böswillig bestohlen zu haben, um sich selbst zu bereichern. Anfang März 2011 wird Karl Kröll vom Straflandesgericht Graz wegen schweren Diebstahls, Urkundenunterdrückung und der Exekutionsvereitelung  schuldig gesprochen und zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig – Kröll kämpft dagegen an.

Im September 2012 schlägt Karl Kröll zurück und stellt drei Anzeigen gegen Behörden und Staatsanwälte. Sie richten sich gegen die Innsbrucker Staatsanwältin Brigitte Loderbauer, der Amtsmissbrauch vorgeworfen wird. Genauso gegen die Tatortgruppe im LKA Steiermark, die bei der Aufklärung des Mordes an seinem Bruder nachlässig gehandelt haben soll. Und auch gegen die Zeugin Martina Kröll, Ex-Frau des toten Oberst, die widersprüchliche Aussagen getätigt habe. Zudem sei ein Fremdverschulden beim Tod Franz Krölls nicht auszuschließen. Eine Obduktion, die nie stattgefunden hat, wäre von Nöten.

Karl Kröll ist und bleibt also ein wahrhaftig »gesuchter« Mann, wie es der Kurier ausdrückte, seit bekannt geworden ist, dass er hochbrisantes Material seines Bruders besitzt. Im November 2012 übergibt er Kopien der US-Botschaft und schickt sie auf dem Postweg direkt nach Deutschland ins Bundeskriminalamt (BKA) nach Wiesbaden, wie es ihm die deutsche Botschaft geraten hat. Im Februar 2013 schreibt der Kurier: »Aber so lange nicht alle Papiere auf dem Tisch liegen, können die Aktendeckel nicht geschlossen werden. Der Abschluss wird durch ein seltsames Versteckspiel hinaus gezögert. Denn immer wieder landen auf dem Postweg Aktenauszüge von Kröll beim FBI und beim BKA, mit dem Vermerk, dass er noch mehr habe. Warum legt Kröll nicht alles auf den Tisch?« Und weiter: »Karl-Heinz Grundböck vom Innenministerium: ‚Die Kommunikation ist sehr schwierig‘. Kröll misstraut den Behörden und fühlt sich verfolgt. Die Polizei würde sein Telefon abhören und ihn observieren (…).«

Der Kampf des Bruders für den Bruder geht also weiter. Und jeder, der Karl Kröll kennt weiß, dass er diesen notfalls bis zum bitteren Ende durch ficht.

Guido Grandt ist freier TV-Produzent und hat 20 Bücher geschrieben. Udo Schulze ist Buchautor und arbeitete unter anderem für Bild und RTL als Gerichtsreporter. Das Duo hat gerade das Buch Staatsaffäre Natascha Kampusch. Politskandal – Vertuschung – Opfer mit vielen neuen Dokumenten zum Thema veröffentlicht (368 Seiten, 22,90 Euro, http://verlag-weltenwandel.sc-group.de)

 

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