„LOGENURTEIL“ GEGEN FRANZ FERDINAND (2)
Doch die Sache wird noch mysteriöser, wie der deutsche Historiker Markus Osterrieder berichtet: „Einige Jahre vor Ausbruch des Weltkriegs wurde ‚eines Tages in der Kabinettskanzlei des Kaisers ein verschlossenes Couvert größeren Formats abgegeben, dass die Aufschrift trug: ‚An Seine Majestät Kaiser Franz Joseph, Wien Hofburg.‘ Der Absender war auf dem Umschlag nicht vermerkt. Im Couvert befand sich ein mehrfach gefaltetes großes Blatt mit kalligrafisch ausgeführten, eigentümlichen Schriftzeichen. Der Kanzlist der Kabinettskanzlei war in Verlegenheit, wie er dieses eigentümliche Schriftstück in das Einreichungsprotokoll eintragen sollte. Man half sich zunächst damit, es an die Militärkanzlei des Kaisers abzugeben; aber auch diese wusste nichts damit anzufangen.“
Weiter: „Die Schriftzeichen wurden mit aller lebenden Sprachen verglichen; es ergab sich, dass es sich nur um eine Geheimschrift handeln könne. Da man aber ein an den Kaiser gerichtetes Schriftstück nicht in den Papierkorb werfen wollte, wurde es an das Chiffre-Department des Ministeriums des Äußeren geleitet. Dort saßen Gelehrte, die nach eigenen kunstvollen Methoden jede Chiffre zu enträtseln vermochten.“
Dabei stellte sich heraus, dass das offensichtlich ausländische Papier amerikanischen Ursprung sei.
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„Nach monatelanger Arbeit gelang es dem Chiffre-Department, die Schrift zu entziffern sie hatte beiläufig folgenden Inhalt: Der nicht genannte Schreiber des Briefes teilte mit, das hochgraduierte Freimaurer in einer Geheimsitzung, der er selbst beiwohnte, beschlossen hätten, die Dynastie der Habsburger und jener der Hohenzollern zu stürzen, Österreich zu zertrümmern und zur Erreichung dieses Zieles einen Weltkrieg zu entzünden. Er sei zwar zur Geheimhaltung dieses Entschlusses verpflichtet, könne es aber bei der Ungeheuerlichkeit dieses Planes nicht über sich bringen, zu schweigen; er wolle die maßgebenden Stellen zumindest in dieser, vielleicht gar nicht verständlichen Form auf die drohende Gefahr aufmerksam machen.“
Die Papiersachverständigen, die darüber Bescheid wussten, erzählten hie und da von dem mysteriösen Schreiben. Diese Indiskretion büßten beide mit ihrem Leben. Sie fielen binnen kurzem anscheinend zufälligen Unfällen zum Opfer.
„Der eine wurde auf der Straße von herabfallenden Ziegeln erschlagen, der andere durch den Stoß eines nicht eruierbaren Passanten auf das Geleise der Straßenbahn geschleudert und überfahren. Die Warnung blieb unbeachtet. Man glaubte nicht an den Ernst solcher geheimer Pläne von Freimaurern, ja man hielt solche Dinge für Ammenmärchen und lachte darüber« (Osterrieder S. 595, 596). Darüber ist in den Unveröffentlichten Erinnerungen (S. 1939 ff.) von Arthur Polzer-Hoditz, Kabinettschef unter Kaiser Karl, zu lesen.
Ein weiterer „Zeitzeuge“ ist Dr. Paul Köthner, Privatdozent der Universität Berlin und ehemaliges Mitglied der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland (IFL, S. 480). Er schrieb dazu in der Zeitschrift Femstern – Monatszeitschrift des Bundes der Guten (Nr. 8, 21. Nebelung, 1915, S. 6 (100) bis S. 7 (101)):
„Ich hatte in den Jahren 1911-13 – anfänglich noch gutgläubig und arglos – in den Logen andere Städte und Länder Entdeckungen gemacht, die mich aufs heftigste erschütterten und meine ganze bisherige Auffassung von Freimaurerei über den Haufen warfen. Denn ich sah und hörte und erlebte, dass es neben der mir bekannten noch eine andere dieser totfeindlichen Freimaurerei gibt, und erhielt zufällig Beweise dafür, dass diese etwas Fruchtbares gegen Deutschland plante. Aus unvorsichtigen verlorenen Bemerkungen und durch merkwürdige Umstände hatte ich den Plan der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand, zum Weltkrieg, zum Sturz der Throne und Altäre und manches, was dann bis ins Kleinste eingetroffen ist, erlauscht“ (Eggert (1), S. 268).
Damit machte Ex-Logenbruder Köthner öffentlich, dass er in deutschen Logen gehört hatte, dass der Thronfolger beseitigt, ein Weltkrieg entfesselt und in dessen Verlauf die „Throne und Altäre“ gestürzt werden sollten. Mit diesem Wissen will er zum Landes-Großmeister (1908-1915) Graf Stanislaus zu Dohna-Schlodien gegangen sein und ihm unter vier Augen enthüllt haben, was er mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen hatte. Der Landes-Großmeister habe darauf nur die kategorische Erklärung abgegeben: „Es gibt nur eine Freimaurerei“ und nichts weiter veranlasst.
Von jetzt an wird es etwas komplizierter. In ein Privatklageverfahren wegen Beleidigung, das der Graf vor dem Amtsgericht Berlin-Lichterfelde am 18. Juli 1927 gegen zwei Offiziere führte, wiederholte Köthner diese schwerwiegende Behauptung.
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Das Gericht erklärte demgegenüber: „Der Versuch der Angeklagten, die Wahrheit der von ihnen verbreiteten Tatsachen ist misslungen. Der Zeuge K. räumte von Anfang an ein, dass er den angeblichen Mordplan gegen den Erzherzog in seiner Unterredung mit dem Privatkläger überhaupt nicht erwähnt habe; weiter gab er zu, dass seine ‚Entdeckungen‘ nur in der Wahrnehmung einer dem Erzherzog und dem Deutschen Reich feindlichen, radikalen und internationalistischen Stimmung im gewissen Wiener Logen (…) bestanden hatten. Bestimmte Tatsachen habe er dem Grafen Dohna nicht angeben können, dieser habe deshalb seine Wahrnehmungen, die ihm sehr ernst gewesen seien, sehr wohl als ein leeres Gewäsch auffassen können; auch sei es möglich, dass er seinerzeit aus seinen Wahrnehmungen noch gar nicht die Folgerungen gezogen habe, die er im Artikel angegeben hatte, sondern, dass er erst nach den Erkenntnissen von 1918 glaubte, er habe das alles schon vor dem Krieg vorausgesehen. Die nachträgliche schriftstellerische Verwertung des Vorganges sei dem Bedürfnis entsprungen, sich wichtig zu machen. Diese Aussage wird durch den persönlichen Eindruck bestärkt, den der Zeuge auf das Gericht gemacht hat, nämlich den eines nervösen, gedächtnisschwachen, phantastischen, aber innerlich ehrlichen Menschen.‘ Auch in einem weiteren Prozess, den Graf Dohna (….) wegen ähnlicher Behauptungen führte (…) spielten die Angaben von K. eine Rolle. Es wurde bei dieser Gelegenheit bekannt, dass jener mittlerweile seine Beschuldigungen zurückgezogen hatte“ (IFL, S. 480).
Und weiter: „In der Nachkriegszeit wurde gegen Graf Dohna wiederholt in deutschen Adelskreisen und von nationalistischen Parteigängern der Vorwurf erhoben, er hätte eine ihm 1912 zugegangene Warnung, dass die Freimaurer die Ermordung des Erzherzog Franz Ferdinand beschlossen hätten, nicht weitergeleitet und sei hierdurch indirekt an dem Attentat in Sarajevo und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs schuld.“ Dies führte unter anderem zu der oben genannten Privatklage. Major von Coler, ein Schwager Köthners, der dessen Material dem Großen Generalstab zur Kenntnis brachte, wurde mit einem mitleidigen Lächeln abgewiesen (IFL, S. 230).
Hieraus lernen wir, wie gegen Behauptungen dieser Art vorgegangen wird. Aber noch etwas anderes: In „gewissen“ Wiener Logen gab es wohl – nach Köthners Wahrnehmungen – „eine dem Erzherzog und dem Deutschen Reich feindliche, radikale und internationalistische Stimmung …“
Wie dem auch sei, die politische und militärische Elite Österreich-Ungarns ignorierte sämtliche Warnungen. Genauso wenig haben solche bis heute Einlass in die Geschichtsbücher gefunden (in die sie zweifellos gehören), würden sie doch Fragen zur Rolle der Freimaurerei in das Attentat von Sarajewo und damit den Ausbruch der größten Menschheitskatastrophe zu dieser Zeit aufwerfen.
Auch einige der Attentäter gaben später vor Gericht zu, man hätte ihnen vom Todesurteil der Freimaurer gegen den Thronfolger erzählt. Darauf komme ich noch zurück.
In der Tat reiste Franz Ferdinand mit dunklen Vorahnungen nach Sarajewo, die sicher durch die Erkenntnis seines „Todesurteils“ durch die Freimaurer noch verstärkt waren. So sagte er zu seiner Gemahlin Herzogin Sophie, nachdem bereits zu Beginn ihrer Reise die Achsen ihres Waggons, angekoppelt an den Prager Schnellzug, heiß gelaufen waren: „Siehst du, so fängt es an, zuerst heiß gelaufener Waggon, dann ein Attentat in Sarajevo und wenn das alles nicht hilft, eine Explosion auf dem Dampfer (…)“ (Weissensteiner, S. 17, 18).
Noch eine weitere Anekdote dazu ist überliefert: „Der Salonwagen fing wegen eines Achsendefekts Feuer, und das Paar musste in ein normales 1. Klasse-Coupè umsteigen, wobei der Thronfolger geradezu prophetisch bemerkte: ‚Nun brennt’s, und unten wird man uns mit Bomben bewerfen‘“ (Meysels, S. 30).
Im Salonwagen des Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh versagte nach Weiterfahrt die elektrische Beleuchtungsanlage, so dass Kerzen entzündet werden mussten. Daraufhin meinte der Erzherzog, dass er sich bereits wie in einer Gruft vorkommen würde (Weissensteiner, S. 17, 18).
Wie Recht er damit hatte, zeigt schließlich der Lauf der Weltgeschichte.
FORTSETZUNG FOLGT!
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