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Gestern erschien auf dem Blog „Bürgerstimme.com“ http://www.buergerstimme.com/Design2/2013-06/staatsaffaere-kampusch-interview-mit-dem-buchautoren-guido-grandt/

folgendes Interview mit mir betr. „Staatsaffäre Natascha Kampusch“:

Der Fall Kampusch erhitzte jahrelang die Gemüter. Auf der einen Seite war er ein gefragtes Medienereignis, bei dem die Medien offensichtlich dazu beitrugen, eine eigene „medienkonforme“ Realität zu schaffen.

Zugleich gibt es allem Anschein nach Kreise, die den Mantel des Schweigens über den Fall ziehen möchten. Wir von Buergerstimme möchten beide Intentionen nicht unterstützen und suchten das Gespräch mit Guido Grandt, der sich intensiv mit dem Fall Kampusch und dessen Hintergründe auseinandergesetzt hat.

Buergerstimme: Herr Grandt, Sie haben mit Ihrem Kollegen Udo Schulze das Buch „Staatsaffäre Kampusch“ geschrieben, indem Sie ihnen zugespieltes Geheimmaterial verwenden. Bevor wir darüber einsteigen: Wie ist nach Ihren Erkenntnissen der derzeitige Stand der Ermittlungen im Fall Kampusch? Ist der Fall offiziell abgeschlossen oder wird weiter ermittelt?

Guido Grandt: Nachdem nun die “Cold Case”-Überprüfung der Causa Kampusch durch Ermittler des FBI, des BKA und der Evaluierungskommission im österreichischen Innenministerium beendet  ist und die internationale Kommission im April 2013 erklärte, daß zwar Ermittlungsfehler in einzelnen Stadien gemacht und es Fehleinschätzungen gegeben habe, ist der Fall Kampusch nun offiziell abgeschlossen. Dabei wurde auch die Mehrtäter-Theorie verworfen: Entführer Wolfgang P. handelte mit “hoher Wahrscheinlichkeit” alleine, auch wenn ein endgültiger Beweis nach wissenschaftlichen Kriterien nicht möglich sei, weil er nicht mehr am Leben ist. Zudem gebe es keine Verbindungen von ihm in die Pädophilen-, Sado-Maso- oder Rotlichtszene. Und: der Entführer hätte Selbstmord begangen. Es würde keine Hinweise auf ein Fremdverschulden geben.

Das ist ein Skandal: Damit widerspricht die internationale Kommission dem einstigen Endbericht des Ständigen Unterausschusses des Ausschusses für innere Angelegenheiten in wesentlichen Teilen. Hatten damit damals vernommene Zeugen gelogen? Wie ist es möglich, dass zwei hochrangige Ausschüsse/Kommissionen zu so verschiedenen Ergebnissen kommen? Und warum soll die internationale Kommission letztlich Recht gehabt und der Ständige Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten sich getäuscht haben? Ich möchte zwei Beispiele anführen:

Laut  dem Ständigen Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten  erklärte der Gerichtsmediziner bei Einvernahme  die offizielle Selbstmordleiche des Kampusch-Entführers Wolfgang Priklopil: Priklopils Leiche wurde bei seinem Eintreffen in “unüblicher Weise” nicht mehr in der Ausgangslage vorgefunden.

Die internationale Expertenkommission resümierte: Der erneut befragte Gerichtsmediziner will eine solche Aussage niemals gemacht haben.

Und nun? Warum hat der Gerichtsmediziner zwei verschiedene Aussagen gemacht? Und welche stimmt nun? Das wird nicht mehr hinterfragt!

Ein weiteres Beispiel: Die internationale Kommission kam zu dem Schluß, daß die Türe des Verlieses, in dem Natascha Kampusch eingesperrt war, sich ohne die Hilfe einer zweiten Person öffnen ließ. Doch in einem uns vorliegenden Aktenvermerk der Polizei heißt es dazu:

“Zuletzt soll noch darauf hingewiesen werden, dass auf dem Video vom Verlies deutlich zu sehen ist, dass ein Polizeibeamter die hinter dem Tresor befindliche Verliestüre mit Druck schließen mußte – was von außen (Tresorseite) mangels Griff aber nicht möglich wäre. Damit hätte aber auch der Versperrmechanismus (Gewindestange) nicht gegriffen, wenn nicht von innen (von Verliesseite) jemand die Türe geschlossen hätte.”

Dieser Aktenvermerk sagt also genau das Gegenteil, was nun die internationale Kommission feststellte. Zudem liegt uns ein Polizeivideo vor, das zeigt, daß das Verlies nur mit Hilfe von innen auch zu schließen und zu öffnen war. Das ist ein Skandal, der ebenfalls nicht weiter hinterfragt wird!

Buergerstimme: Das Ihnen vorliegende Material benennt – wie Sie und Ihr Kollege beim Alpenparlament Kongreß am 1.2 2013 gesagt haben – Personen des öffentlichen Lebens beim Namen, die in den Fall verstrickt sein könnten und/oder etwas zu verbergen haben. Damit gehen Sie selbst Risiken für Ihr Leib und Leben ein. Wie gehen Sie damit um und wie schützen Sie sich?

Guido Grandt: Im Buch haben wir diese Namen natürlich nicht genannt, sondern anonymisiert. Schon seit über 25 Jahren bewege ich mich als investigativer Journalist auf dem Hochseil von oftmals sehr prekärem und geheimen Wissen und seiner Veröffentlichung. Der beste Schutz ist die Öffentlichkeit, will heißen: Sollte es zu “Auffälligkeiten” von Dritten gegen uns oder unser Umfeld kommen, werden die Dateien, Dokumente, Fotos, Tonband- und Filmaufnahmen, die vertraulich bei Anwälten und Journalistenkollegen in Deutschland und im Ausland hinterlegt sind, in den Medien dieser Länder veröffentlicht und die Behörden eingeschaltet.

Buergerstimme: Nachträglich hat Frau Kampusch ein Teil ihrer Aussagen, die sie den Polizeibeamten gegenüber gemacht hat, verändert. Über die sexuellen Details wollte sie öffentlich schweigen. Nun werden im Film „3096 Tage“ genau solche Details gezeigt. Sind diese Details, etwa die Szene, bei der sie mit Kabelbinder gefesselt aggressiv sexuell mißbraucht wird, nach den Ihnen vorliegenden Materialien realitätsgetreu, und wo weicht der Film von der Realität ab?

Guido Grandt: Der Film weicht in vielen Sequenzen von der Geschichte ab, wie wir sie recherchiert und belegt haben. Es wäre zu umfangreich, an dieser Stelle darauf einzugehen, weil sich über 300 Seiten unseres Buches damit befassen. So haben wir es auch in die “offizielle” und die “inoffizielle” Geschichte des Falles Natascha Kampusch unterteilt. Aber ein Beispiel möchte ich nennen: Medien berichten darüber, daß Natascha Kampusch von ihrem Entführer sexuell mißbraucht, also vergewaltigt wurde. In ihrer Autobiographie spricht sie von “kuscheln”. Uns liegt das Protokoll ihrer Polizeivernehmung kurz nach ihrer Flucht vor. Auf die Frage einer Polizeibeamtin, ob sie mit dem Entführer Geschlechtsverkehr hatte, antwortet sie, daß sie Geschlechtsverkehr hatte und sie diesen freiwillig mit ihm vollzog. In einem anderen Polizeiprotokoll, das uns vorliegt, heißt es: “Zu einem sexuellen Kontakt mit P. (also dem Entführer) befragt gab sie an: “Es hat die ganze Zeit keine Vergewaltigung gegeben.”

Wir haben nun also drei Versionen: Einmal nur kuscheln, dann Vergewaltigungen und schließlich doch freiwilligen Geschlechtsverkehr. Ich gehe davon aus, daß Natascha Kampusch bei ihren Vernehmungen dahingehend die Wahrheit gesagt hat.

Buergerstimme: Zwischenzeitlich hat sich auch der Vater von Kampusch in Form eines Buches zu Wort gemeldet und liefert eine eigene, andere Sicht der Dinge. Er sieht – wie die Merkur am 26.2.2013 schreibt – das Martyrium seiner Tochter als Mysterium. So erscheint ihm die Beziehung zwischen Natascha und Priklopil verschleiert, etwa der Sachverhalt, daß sie in seinem Bett schlief. Konkret bezweifelt er, daß Frau Kampusch überhaupt jahrelang im Kellerverlies leben mußte. Und bezogen auf den Zeitpunkt der Flucht mutmaßte er, daß seine Tochter mit ihrer Flucht wartete, bis sie 18 Jahre alt war, weil sie mit 18 weder in ein Heim noch zu ihren Eltern zurück mußte. Frau Kampusch soll über die Aussagen ihres Vaters erschüttert gewesen sein. Gibt es Belege, die nahelegen, daß etwas an den Vermutungen ihres Vaters dran ist?

Guido Grandt: Ja, dazu gibt es auch Zeugenaussagen, die uns schriftlich vorliegen, sowie andere Belege. Wir gehen explizit auf diese Thematik ein: Natascha Kampusch und ihr Aufwachsen im sozialen Brennpunkt. Natascha hat noch kurz vor ihrer Entführung ihr Leben so gehasst, daß sie sich sogar vor ein Auto werfen wollte. Sie ist vernachlässigt und regelmäßig geschlagen worden.

Buergerstimme: Nach den Ihnen vorliegenden Informationen gibt es starke Zweifel über den Selbstmord von Herrn Priklopil wie an dem des Ermittlers Oberst Kröll. Beides stützt die These, daß es in dem Fall um mehr geht als um den Einzeltäter Herrn Priklopil. Können Sie ein zwei Beispiele nennen, die es rechtfertigen, von einer Staatsaffäre Kampusch zu sprechen?

Guido Grandt: Die Entführung Natascha Kampuschs ist nur ein Rädchen in einem größeren Zusammenhang: Der einstige Chefermittler Franz Kröll vermutete ein elitäres Netzwerk, das dahinter steckt. Unseres Erachtens nach hatte er Recht und musste sterben, weil er gewissen Leuten zu nahe kam!  Der Fall Kampusch führt in die dunklen Abgründe von Kinderpornographie und Kinderprostitution. Er zeigt auf, wie ein ganzer Staat erschüttert werden kann. Wie kriminelle Vertuschungen, Manipulationen und Vetternwirtschaften auf Ebenen der Politik und Justiz, von Geheimdiensten und Medien, sein Gefüge wie Krebszellen zerfressen können und wie scheinbar unzusammenhängende Sachverhalte und hochrangige Protagonisten in einem weitgefächerten Netzwerk zusammenhängen. Aus diesem Grund ist der Fall Kampusch ein staatsgefährdender Skandal. Eine Staatsaffäre, die uns drastisch die Schattenseite eines Rechtsstaates vor Augen führt.

Buergerstimme: Sie sagten in dem Interview beim Alpenparlament Kongreß, daß es ihnen unmöglich war, mit Frau Kampusch in Kontakt zu treten, weil sie abgeschirmt wird. Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Personen, die Frau Kampusch betreuen oder abschirmen? Konkret: Besteht der Verdacht, daß diese Personen mehr als nur Frau Kampusch vor der Öffentlichkeit schützen?

Guido Grandt: Das Kampusch-Berater-Team spielt sicher eine große Rolle bei der “Vermarktung” des Falles. Aus diesem Grund haben wir gerade diesem ein großes Kapitel gewidmet. Ein Beispiel: Uns liegt ein Polizei-Aktenvermerk vor, der besagt, daß die Anwaltskanzlei L., die Kampusch vertritt, nur wenige Tage nach ihrer Flucht plante, sie von ihrem Unterbringungsort – dem Allgemeinen Krankenhaus in Wien – wegzubringen, da sie Verträge mit verschiedenen Medien in Österreich und Deutschland hatte. Nur mit körperlicher Gewalt konnte dieses Wegschaffen des Opfers verhindert werden. Das ist doch ein Skandal und zeigt, wie rücksichtslos mit dem Opfer von Anfang an umgegangen wurde.

Buergerstimme: Angeblich sollen Gerüchte über Ihr Buch, das im Weltenwandel-Verlag erschienen ist, gestreut worden sein, um den Verkauf zu behindern. Können Sie etwas dazu sagen? Und können Sie etwas über die Resonanz sagen, die Sie von verschiedener Seite auf Ihr Buch hin erhalten haben? Gab es Zuspruch? Gab es Drohungen?

Guido Grandt: Interessanterweise tauchten noch vor der Auslieferung des Buches im Internet in verschiedenen Foren Gerüchte auf, daß es das Buch nicht geben, es bei dem Weltenwandel-Verlag sich um einen Betrug handeln würde. Es wurde Stimmung gemacht, die Finger von dem Buch zu lassen. Dahingehend glaube ich nicht an einen Zufall, sondern um das bewußte Lancieren von Falschinformationen, um den Abverkauf zu be- oder zu verhindern. Bislang haben wir nur eine äußerst positive Resonanz auf das Buch bekommen. Und viel Lob für unsere journalistische Hartnäckigkeit.

Das Interview für Buergerstimme führte Thomas Weis.

Weitere Informationen zum Buch und Fall unter: http://www.verlag-weltenwandel.com/

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